Berlin Transfer im Gespräch mit Ruth Oppl von der Stiftung Unionhilfswerk Berlin
Die Stiftung Unionhilfswerk Berlin führt bereits seit 2013 Mentoring-Projekte mit Auszubildenden durch. Ziel ist es, jungen Menschen zu helfen, die Ausbildung abzuschließen. Was ist das Besondere am Mentoring und was braucht es, um zu funktionieren? Berlin Transfer hat sich mit Ruth Oppl unterhalten, Koordinatorin des Projektes Ausblicke II.
Frau Oppl, Sie sprechen in Ihrem Mentoring-Projekt Ausblicke II Auszubildende im Bereich „Technik, Recht und Sicherheit, Verkehr und Logistik“ an. Um welche Berufe geht es genau?
Es sind Zahntechniker*innen, Bademeister*innen, und ein großer Bereich sind die Logistik und die Sicherheitsberufe. Es sind die sog. Blue Color Workers, Berufe im Schichtbetrieb: Lagerlogistiker*innen, Fachlagerist*innen und Speditionsfachleute. Und dann die Azubis im Bereich Schutz und Sicherheit: hier kann man schon mit der Berufsbildungsreife (BBR) starten. Zumeist sind es junge Menschen zwischen 20 und 30, 80% von ihnen haben einen Fluchthintergrund. Nur wenige sind unter 20: sie kommen meistens direkt von der Schule und haben schon dort Mentoring kennengelernt.
Was ist das Besondere am Mentoring?
Mentoring basiert auf Vertrauen. Es wäre viel schwieriger für Mentees, dieses Vertrauen einer Person entgegenzubringen, die eine Institution darstellt, seien es Lehrer*innen, Ausbilder*innen oder Vertreter*innen einer Arbeitsagentur: das hat für sie immer mit Druck zu tun, mit Zwang, und das ist bei Mentoren nicht der Fall. Deswegen legen wir am Anfang sehr viel wert darauf, dass sich Mentor*innen und Mentees am Anfang regelmäßig einmal die Woche treffen, so dass diese Vertrauensbasis entstehen kann. Dann wird es auch möglich, Themen anzusprechen, die die Azubis möglicherweise sehr belasten, aber oft schambehaftet sind, wie z.B. Verschuldung. Wir erleben oft, dass Beziehungen entstehen, die lange über das Mentoring hinaus fortdauern. Es werden fast schon Freundschaften.
Sind die Mentor*innen nur ehrenamtlich oder auch hauptamtlich?
Voraussetzung dafür, dass dieses Vertrauen entsteht, ist, dass Mentor*innen es ehrenamtlich tun. Das merken wir an der Reaktion der Auszubildenden in der Schule, wenn wir das Projekt vorstellen: Am Anfang staunen sie und können es gar nicht glauben, dass diese Menschen ihre Zeit zur Verfügung stellen, ohne dafür bezahlt zu werden. Das beschäftigt sie erstmal, aber wenn sie verstehen, dass diese Menschen so was nur deswegen tun, weil sie es für sinnvoll halten, anderen zu helfen, dann kann auch das Vertrauen entstehen. Allerdings funktioniert Ehrenamt im Mentoring nur, wenn es hauptamtliche Strukturen gibt, die es ergänzen. Ehrenamtliche Mentor*innen können viel leisten, aber bei Problemen ihrer Mentees, für die sie keine spezifische Kompetenz haben, brauchen sie die Unterstützung professioneller Strukturen.
Wie akquirieren sie die Mentor*innen?
Viele melden sich, weil sie von anderen Mentor*innen angesprochen wurden, die schon bei uns sind. Es kommen regelmäßig neue dazu, wenn wir Mentor*innen, die länger bei uns sind, bitten, eine Rundmail an ihre Bekannten zu schicken. Viele kommen auch über die Freiwilligenagenturen. Wir machen Projekt und Mentor*innensuche auch über unsere Öffentlichkeitsarbeit bekannt.
Brauchen sie dafür eine Aus- oder Fortbildung? Wer qualifiziert sie?
Es gab bislang eine Qualifizierung für Mentor*innen im Rahmen des Landesprogramms, die das Frauencomputerzentrum Berlin angeboten hat. Im Moment läuft ein Interessenbekundungsverfahren, d.h es gibt zurzeit keine offizielle Qualifizierung für Mentor*innen für Auszubildende, aber wir bieten Interessenten die Qualifikation an, die wir hausintern für das Schulmentoring und für die Geflüchtetenmentoring durchführen. Es wäre schade, wenn potenzielle Mentor*innen Monate auf die Qualifizierung warten müssen, bevor sie starten können: möglicherweise springen sie dann ab.
Sind viele Rentner*innen dabei?
Es sind Rentner*innen dabei, aber auch viele Menschen, die voll im Berufsleben stehen. Viele haben Kinder, die schon erwachsen oder aus dem Haus sind, und haben daher mehr Zeit, um sich einzubringen. Und es sind auch Student*innen dabei.
Müssen Mentor*innen aus demselben beruflichen Bereich kommen?
Nein, das gibt es sehr selten. Es geht bei uns nicht um ‚Nachhilfe‘, dafür gibt es andere Angebote. Mentor*innen müssen vor allem die Fähigkeit mitbringen, mit den Schwierigkeiten der Mentees umzugehen: Dafür ist es nicht nötig, dass ihre Berufserfahrung im selben Bereich liegt.
In welchen Situationen unterstützen Mentor*innen die Azubis?
Mentor*innen können helfen, Prüfungsfragen zu entschlüsseln und zu verstehen, weil Azubis, die nicht so gut Deutsch können – auch viele deutschsprachige- , Probleme haben, diese Fragen zu verstehen. Aber zumeist sind es ganz allgemeine Probleme, wie das Zeitmanagement: In dem Alter ist es schwierig, die betrieblichen Anforderungen mit der Zeit für Familie, Freizeit, Freunden und Haushalt in Einklang zu bringen. Mentor*innen können ihnen aufgrund ihrer Erfahrung helfen, sich besser zu organisieren. Oder: wenn eine schwierige Prüfung ansteht, fehlt manchmal die Disziplin, kontinuierlich zu lernen. Es hilft, wenn sich Mentor*innen und Mentees regelmäßig zusammen hinsetzen und den Lernstoff durchgehen. Manchmal vermitteln Mentor*innen auch im Betrieb oder in der Schule, wenn es Probleme mit Vorgesetzen oder mit Lehrpersonal gibt.
Wie grenzt sich Mentoring von Sozialarbeit ab?
Mentoring ist immer auf die Arbeitswelt ausgerichtet, da kommt es her, man kennt es als Instrument bei Führungskräften oder in der Frauenförderung. Unsere Mentor*innen werden zwar im Vorfeld geschult, können aber nicht mit professionellen Sozialarbeiter*innen verglichen werden. Es geht eher um Unterstützung und Prävention. Mentor*innen sind aber keine Proficoaches oder Sozialarbeiter*innen: bei gravierenden Problemen, wie Depression oder Traumabewältigung, müssen sie die Mentees an qualifizierte Stellen weitervermitteln. Ehrenamtliche Mentor*innen sind auf dem Mittelweg zwischen Coach und Sozialarbeit. Sie können ihre Mentees im Laufe der regelmäßigen Treffen unterstützen, vielleicht Fähigkeiten und Talente zu entdecken (z.B. im MINT-Bereich), die ansonsten bei Menschen mit geringer Schulbildung und unzureichenden Sprachkenntnissen unentdeckt bleiben würden. Ansonsten geht es sehr viel um Hilfe bei Behördengängen und Schreiben, manchmal auch um private Probleme, die Mentees sehr belasten, wie z.B. Liebeskummer.
Wie kommen Mentor*innen und Mentees zusammen?
Es beginnt mit einem Erstgespräch von mindestens einer Stunde mit der oder dem Mentee, um zu verstehen, wer zu ihr oder ihm passen könnte. Ein Fragebogen wird dabei ausgefüllt. Auf dieser Grundlage suchen wir eine/n passende/n Mentor*in. Es kommt sehr selten vor, dass wir für jemanden gar keine passenden Mentor*innen finden. Oder dass diese nicht in Frage kommen, weil sie beispielsweise nicht flexibel genug sind, um zu verstehen, dass Mentees eine andere Erfahrungswelt haben als sie. Die meisten, die sich für Mentoring interessieren, bringen die Bereitschaft mit, sich auf die Lebenssituation der jungen Menschen einzulassen. Viele berichten im Nachhinein, dass es ihnen vorher überhaupt nicht klar war, wie die Lebensrealität derjenigen aussieht, die z.B. eine Fluchterfahrung hinter sich haben. Wir hatten auch Studierende, denen es nicht bewusst war, wie es in der dualen Berufsausbildung praktisch zugeht.
Welches Feedback gibt es von den Mentees und den Firmen, bei denen die Ausbildung stattfindet?
Es gibt Mentees, die das Mentoring vorzeitig abbrechen, weil sie denken, es doch allein zu schaffen. Bei diesen können wir nicht mehr verfolgen, ob sie ihre Ausbildung abschließen. Aber diejenigen, die beim Mentoring bis zum Schluss bleiben, schaffen es in der Regel, ihre Ausbildung abzuschließen. Es gibt Firmen, die sehr gerne Auszubildende nehmen, wenn sie wissen, dass die Mentees bei uns sind, weil sie feststellen, dass diese strukturierter und kommunikativer sind und besser mit den Anforderungen des Ausbildungsbetriebs umgehen können. Beispiele von Firmen sind Bayer, LPG, Terra und Moll Marzipan, wo wir nicht ganz einfache Fälle erfolgreich begleitet haben. Das spricht sich in Betrieben herum. Gleichzeitig stoßen wir auf Mentees, bei denen es zu Schwierigkeiten im Betrieb kommt. Wenn man mit vielen Geflüchteten arbeitet, ist man manchmal mit sehr unguten Situationen im Betrieb konfrontiert. Vor allem in Bereichen wie Fachlagerist*innen oder Schutz und Sicherheit, da geht es wesentlich rauer zu als beispielsweise im Dienstleistungsbereich. Da haben wir festgestellt, dass wir die Mentees etwas stützen können, wenn die Menschen in den Betrieben wissen, dass die Azubis bei uns im Mentoring sind. Dann gehen sie mit ihnen vorsichtiger um. Also einen kleinen Schutzschirm können wir so über die Mentees spannen.
Wie ist die Stiftung Unionhilfswerk auf diese Art Projekte gekommen?
Viel Erfahrung haben wir zuvor im Schulmentoring gesammelt, im Rahmen der ‚Hürdenspringer‘-Projekte, die wir seit 2009 durchführen, und von denen es welche an Brennpunktschulen gibt. Aus diesem Grund wurden wir vom Senat Berlin miteingeladen, um die Qualitätsstandards für das Landesprogramm Mentoring mitzuschreiben.
Wie geben Sie als Projekt Ihre Erfahrungen weiter?
Wir haben ein Handbuch entwickelt und großflächig verteilt, einen Leitfaden „Mentoring“, den wir damals mit den Projekten des Schulmentorings entwickelt haben: er ist immer noch sehr gut. Wir tauschen uns im Rahmen des Landesprogramms Mentoring des Senats mit den anderen Trägern aus, und intern im Rahmen unserer Hürdenspringerprojekte. Wir vom Mentoring für Auszubildende treffen uns einmal pro Woche mit Kolleg*innen des Schulmentorings und des Geflüchtetenmentorings, und besprechen unterschiedliche Fälle aus verschiedenen Blickwinkeln: das ist sehr hilfreich. Wir sind auch in einer übergeordneten Organisation dabei: Kinderpatenschaften e.V, einer Art Fachverband für Patenschaften und Mentoringprojekte und -programme: darüber gibt es auch Austausch. Dieser Verein veröffentlicht einen sehr empfehlenswerten Newsletter für Mentoringfachfragen. Darüber hinaus sind wir auch bei Fachtagungen, letztes Jahr z.B. bei einem Barcamp über Mentoring und Pandemie. Wir machen auch externe Schulungen, z.B. für den polnischen Kulturverein, im Rahmen eines Patenschaftsprojektes mit einem Kinderheim.
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