ESF-Projekte stärken den sozialen Zusammenhalt in den Bezirken - BT im Gespräch mit den EU-Beauftragten von Mitte und Reinickendorf

Marina Mantay ist seit 3 Jahren Europabeauftragte des Bezirks Mitte. Sie berät und unterstützt Bürgerinnen und Bürger, Verbände, Vereine und Träger in Fragen zu EU-Förderprogrammen im Rahmen des Bezirklichen Bündnises für Wirtschaft und Arbeit (BBWA). Zudem veranstaltet sie regelmäßig gesellschaftliche Diskussionen zu den aktuellen europäischen Themen, berät ihren Chef, den Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel in allen EU-Angelegenheiten und ist für den europäischen Verwaltungsaustausch LoGo!Europe zuständig.

Dr. Dagmar Klein ist seit fast 20 Jahren im Bezirk Reinickendorf als EU-Beauftragte tätig und gleichzeitig für das BBWA zuständig. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind u.a. die Koordination europabezogener Aktivitäten im Bezirk, die Beratung von Trägern zur Planung von Projekten und zum Einsatz europäischer Fördermittel sowie die Begleitung bei der Umsetzung dieser Projekte.

Berlin Transfer (BT): Welche besonderen Prioritäten, Inhalte und Zielgruppen greifen die Projekte auf, die in Mitte und Reinickendorf mit ESF-Förderung realisiert werden?

Marina Mantay: Die Projekte im Rahmen der Programme PEB (Partnerschaft – Entwicklung – Beschäftigung) und LSK (Lokales Soziales Kapital) fokussieren sich auf die Menschen, die entweder seit mehr als einem Jahr auf der Arbeitssuche sind oder noch nie einer Beschäftigung nachgingen. Hinter dieser Herausforderung verbergen sich oft individuelle Schicksale mit den familiären, sozialen bzw. psychischen Problemen. Umso mehr Unterstützung brauchen diese Menschen. Da unsere Projekte zeitlich beschränkt sind (bis drei Jahren bei PEB, maximal ein Jahr bei LSK), können wir innovativere Ansätze erproben, als wenn wir z.B. eine 10jährige institutionelle Förderung erhielten. Ein wichtiger Schwerpunkt der beiden Programme liegt in der sozialen Innovation: Statt üblichen Jobcenter-Maßnahmen spielen z.B. die Teilnehmer*innen ein Theaterstück und entwickeln neue Kompetenzen (dazu mehr unten). Beide Programme haben bislang sehr gute Ergebnisse erzielt.

Dr. Dagmar Klein: Im BBWA Reinickendorf arbeiten wir hauptsächlich mit den bereits genannten Förderprogrammen LSK und PEB. Mit diesen verfolgen wir das Ziel, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und lokale Beschäftigungschancen für benachteiligte Personengruppen zu eröffnen. In kleinen Schritten sollen in den Projekten vorhandene Potenziale der Teilnehmenden erkannt und Kompetenzen verbessert werden, um dem regulären Arbeitsmarkt ein Stück näher zu kommen. Inhaltlich müssen sich die Projekte an den Handlungsfeldern unseres Aktionsplans orientieren, die jedoch sehr breit aufgestellt sind und Bereiche wie Wirtschaft, Tourismus, Gesundheit, Natur und Umwelt sowie Qualifizierung und Beschäftigung enthalten.

BT: Einige Projekte, wie zum Beispiel „Im Rampenlicht zum Neuanfang“ (ein Ansatz, der Ausdrucksfähigkeit und Selbstwertgefühl mittels kreativer theaterorientierter Methoden fördert) gab es und gibt es aktuell in fast ähnlicher Form in verschiedenen Bezirken…

Marina Mantay: Das ist auch eine Folge der Zusammenarbeit zwischen den Bezirken. Das PEB-Projekt „In Szene setzen“ lief in Spandau. Berater*innen der zgs consult GmbH betreuen im Auftrag des Senats für Arbeit, Integration und Soziales die bezirklichen Bündnisse. Frau Nela Saathoff ist für Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow sowie Spandau zuständig. Gemeinsam mit ihr besuchte ich in Spandau die Abschlussveranstaltung des Projektes, die in Form eines Theaterstücks stattgefunden hat. Es war schön zu sehen, was die Projektteilnehmer*innen ohne jegliche künstlerische Ausbildung und mit zahlreichen Hintergründen für eine Leistung erbracht haben. Das Theaterstück wurde mir viel Leidenschaft und Herzblut gespielt. Später kam der Träger Kiezküchen auf mich zu, mit dem Vorschlag, ein ähnliches Projekt in Mitte zu starten. So kam das Projekt „Im Rampenlicht zum Neuanfang“ in Mitte zustande.

BT: Was ist das Besondere an diesem Ansatz?

Marina Mantay: Durch die schauspielerischen Leistungen übernimmt jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin automatisch die Verantwortung für das Gesamtteam. Wenn eine Schauspielerin oder ein Schauspieler fehlt, kann die Probe nicht stattfinden. Der Ansatz legt dementsprechend viel Wert auf die Freiwilligkeit, statt die Menschen zu der Teilnahme zu zwingen. So passiert es eher selten, dass die Menschen unentschuldigt nicht erscheinen oder die Teilnahme abbrechen. Die intrinsische Motivation spielt also eine große Rolle, da sie mit dem Gefühlt der Selbstwirksamkeit eng verknüpft ist.

BT: Welche Kooperationen und Netzwerke sind im Rahmen der Arbeit dieser Projekte entstanden?

Dr. Dagmar Klein: Mir ist es wichtig, dass jedes neue Projekt im Bezirk einerseits am Bedarf geplant und andererseits mit bereits vorhandenen Angeboten vernetzt wird. Nach meiner Erfahrung benötigen insbesondere Träger, die sich neu im Bezirk etablieren, Hilfe bei der Kooperation und Vernetzung. Deshalb werden die Träger bei der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern unterstützt. Diese richten sich auch danach, welche Zielgruppen mit dem Projekt erreicht werden sollen. Im Fall des PEB-Projektes der GFBM gGmbH (ProLern – Projekte, lesen und lernen) sind das weitere im Bezirk tätige Träger und das Jobcenter, bei den Euro-Schulen (Berliner Ausbildungsplatzprogramm BAPP) ist es z.B. der Regionale Ausbildungsverbund (RAV). Bei anderen Projekten werden die Stadtteil- und Selbsthilfezentren, die Familienzentren, Jugend- und Freizeitstätten oder lokale Netzwerke einbezogen. Oftmals können durch die Beiräte in den PEB-Projekten oder durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit (Pressemitteilungen, Ausstellungen, Erfahrungsaustausche) weitere Kooperationspartner gewonnen werden, aber das ist sehr projektspezifisch.

BT: Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Bezirken? Sind dabei Transfer und Verstetigung ein Thema?

Marina Mantay: Die 12 Bezirke sind ziemlich gut untereinander vernetzt. Ein Austausch über innovative und erfolgreiche Projekte, die im Rahmen der Programme PEB und LSK realisiert werden, findet vor allem während des Jour Fixe der BBWA-Geschäftsstellen statt. Die Zuständigkeiten sind bei den EU-Beauftragten nicht immer deckungsgleich: Ich bin z.B. sowohl für das Thema „Europa“ als auch für das „BBWA“ zuständig, dafür nicht direkt für die „Städtepartnerschaften“. Jeder Kollege, jede Kollegin hat also seine/ihre eigenen Schwerpunkte.  Daher ist das BBWA-Netzwerk nur eins von mehreren Austauschmöglichkeiten, die wir untereinander pflegen. Aufgrund der aktuellen Lage tauschen wir uns im Rahmen der BBWA-Treffen digital aus. Im Normalfall findet der Dialog vor Ort statt, der oft von Ausflügen und Fortbildungen begleitet wird.

Welche Rolle spielt die Landesarbeitsgemeinschaft der bezirklichen EU-Beauftragten?

Dr. Dagmar Klein: Die LAG besteht seit 2016. In diesem Kreis finden monatliche Sitzungen jeweils in einem anderen Bezirk statt, z.Zt. leider nur digital. Hier werden wichtige Themen der Europaarbeit in den Bezirken besprochen, bezirksübergreifende Projekte geplant, Vorhaben diskutiert und die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit gestaltet. Momentan sind wir dabei, die aktuelle Strukturfondsförderperiode mit einem neuen bezirklichen Förderinstrument mitzugestalten, bewährte Förderprogramme zu erhalten und uns für den Erhalt der BBWA einzusetzen.

Marina Mantay: Aufgrund der aktuellen Lage finden unsere LAG-Treffen lediglich digital statt. Trotzdem kommen zu uns regelmäßig interne und externe Gäste, wie z.B.Kolleg*innen aus den Senatsverwaltungen, von der Landeszentrale für Politische Bildung oder auch von den europäischen Vereinen, um ihre Aktivtäten vorzustellen und Synergien zu erzeugen.

Gibt es in Ihren Bezirken auch Projekte mit Partnern aus anderen europäischen Ländern?

Dr. Dagmar Klein: Durch die bestehenden Städtepartnerschaften gibt es in Reinickendorf auch Projekte mit Frankreich und Großbritannien im Jugend- und Sportbereich. Die Jugendkunstschule ATRIUM hat ebenfalls Kontakte ins europäische Ausland und führt kontinuierlich trinationale Kunstprojekte mit Jugendlichen durch. Darüber hinaus ist mir bekannt, dass auch einige Schulen im Bezirk Erasmus-Projekte durchführen. Seit 2005 pflegen die EU-Beauftragten der Berliner Bezirke mit dem Projekt „LoGo! Europe“ den fachlichen Erfahrungsaustausch mit europäischen Kommunalverwaltungen. Beschäftigte der Bezirke können in vierwöchigen Hospitationen europäische Partnerverwaltungen kennenlernen, neue Arbeitswelten entdecken und eigene Erfahrungen weitergegeben. Dafür gibt es Kontakte nach Graz, Wien, Koszalin, Wroclaw, Malmö, Stockholm, Istanbul, Mezitli, London Borough of Barnet und London Borough of Hammersmith & Fulham, Wolverhampton, Glasgow, Rotterdam, Utrecht, Malta, Zagreb, Nahariya, Dublin, Palermo, Bozen, Paris und Charenton-le-Pont. Das Projekt wird von der EU-Beauftragten von Tempelhof-Schöneberg, Frau Schuster, für die teilnehmenden Bezirke koordiniert.

BT: Was sind Ihre Erwartungen und Hoffnungen an die neue Förderperiode, was die Bezirke betrifft?

Marina Mantay: Das Thema ‚sozialer Zusammenhalt‘ soll einen größeren Stellenwert einnehmen. Bereits vor Corona bestand mein Wunsch, dass wir als Gesellschaft mehr miteinander statt nebeneinander leben.  Dabei ist es wichtig, dass die Menschen, auch wenn sie nicht der gleichen Meinung sind, miteinander kommunizieren, um die Positionen der anderen besser zu verstehen und gemeinsam als Gesellschaft die Herausforderungen einzugehen. Mein persönliches Anliegen ist es, den wachsenden gesellschaftlichen Spaltungen entgegenzuwirken, indem wir in einen kontinuierlichen Dialog miteinander treten. Daher wünsche ich es mir, dass die aktuelle Förderperiode Programme ermöglicht, die den sozialen Zusammenhalt fördern und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenbringen. So können wir als Gesellschaft nach der Krise gemeinsam wachsen.

Dr. Dagmar Klein: Wie immer sind meine Erwartungen an die neue Förderperiode hoch. Neben dem Fortbestand der BBWA und der Begleitung durch einen Dienstleister, welche die Grundlage für erfolgreiche Projekte bilden, hoffe ich auf eine Fortsetzung der bewährten lokalen Förderinstrumente innerhalb des ESF und des EFRE und auf eine Chance für die neuen. Für unseren Bezirk wünsche ich mir viele konstruktive Projektideen, die im BBWA gemeinsam mit den Trägern entwickelt werden, die innovativ sind und Wirkung zeigen, die sich am Bedarf orientieren und auf die Zielgruppe abgestimmt sind. Des Weiteren würde ich mich sehr freuen, wenn wir unser gemeinsames Projekt „LoGo! Europe“ fortsetzen könnten, um mehr Europa in die Berliner Verwaltung zu bringen.

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