„Wir bauen Brücken und unterstützen mit unseren Ressourcen die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten und die Suche nach Fachleuten“

Zwei Jahre nach dem Start des Berliner Weiterbildungsverbundes HOGA:Co: cooperationen für Bildung, der gastgewerbliche Unternehmen beim Aus- und Aufbau von Weiterbildungsstrategien unterstützt, hat Berlin Transfer mit Koordinatorin Elke Witzmann (bildungsmarkt e.V.) gesprochen. Coaching für Ausbilder*innen, die vor neuen Herausforderungen stehen, niedrigschwelliger Spracherwerb für nicht deutschsprachiges Personal, Sensibilisierung und Leitlinien zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: zu diesen drei Schwerpunkten sind erfolgreiche und zukunftsfähige Weiterbildungskonzepte entstanden.

Welche Art Unternehmen umfasst HOGA:Co  zurzeit?

Es sind vor allem mittlere Unternehmen im Hotel- und Gastgewerbe. Kleine Gastronomieunternehmen konnten wir bislang wenig erreichen. Sie hatten am meisten mit den negativen Folgen der Pandemie zu kämpfen, mit der Suche nach Personal, zum Beispiel. Sie waren eher froh, wenn sie überhaupt Mitarbeiter*innen gefunden haben, egal mit welcher Ausbildung oder Vorkenntnissen. Jetzt hat sich die Lage für alle etwas stabilisiert, und entsprechend ist das Interesse für das Thema Weiterbildung und für entsprechende, angepasste Formate gewachsen.  

Die Anfangsphase fiel noch mitten in die Pandemie. Konnten Sie trotzdem die geplanten Veranstaltungen abhalten?

Wir haben bislang zwei Fach—und Experimentiertage durchgeführt. Der erste, noch in der Pandemie, hat online stattgefunden, zu den Themen Weiterbildung und Digitalisierung im Gastgewerbe. Für den zweiten, in Präsenz, hatten wir als Ort die Arminius Markthalle in Berlin-Moabit ausgewählt. Die Absicht war, die vielen kleinen Gastrounternehmen, die vor Ort sind, miteinzubeziehen. Die Veranstaltung war auch als Versuch konzipiert, um zu sehen, wie sich kleine Firmen in einem Markhalle-Modell anders aufstellen könnten, wenn sie zusammenarbeiten. Initiator war ein dortiges Unternehmen, das sich mehr Kooperation zwischen den ansässigen Betrieben wünschte. Das Thema waren u.a. Mehrwegpflicht und Mehrwegsysteme: zwei Unternehmen haben sich vorgestellt, die schon auf Mehrweg umgestellt hatten, dazu ein Anbieter solcher Systeme. Die meisten hatten aber kein Interesse daran und vor allem gar keine Zeit für extra-Aktivitäten: sie sind für unsere Initiativen schwer zu erreichen. Im Herbst wird der 3. Fach- und Experimentiertag stattfinden, dieses Mal zum Thema Führung. Der Vorschlag kam von einigen Unternehmen, die 130-140 Mitarbeitende haben, aber kein Führungspersonal, das länger als drei Monate in der Führungsposition Erfahrung hat. Ein wichtiger Aspekt ist dabei Mitarbeiterbindung und Motivation. Jetzt, wo sich die Unternehmen in einem ruhigeren Fahrwasser befinden, was Personal betrifft, kann auch das Führungsthema angegangen werden.

Als wir im Oktober 2021 miteinander gesprochen haben waren Sie dabei, Weiterbildungsbedarfe zu erheben. Welche gemeinsamen Themen haben sich ergeben?

Als sehr dringend wurde die Weiterbildung für Ausbilder*innen empfunden. Die Sprachkenntnisse der Auszubildenden sind auch ein wichtiges Thema, sowie auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz; in kleinerem Maße die Digitalisierung von Managementprozessen. Die Weiterbildung für Ausbilder*innen schließt viele dieser Themen ein. Viele Unternehmen haben bei unserem Stammtisch, der schon aus dem Vorgängerprojekt bestand, aus verschiedenen Gründen akuten Bedarf gemeldet. Einerseits werfen die Neuordnung und Modernisierung der Hotel- und Gastronomieberufe viele neue Fragen auf, deren Details mit der IHK noch nicht ganz geklärt werden konnten. Andererseits sind Auszubildende meist keine Abiturienten, und sind auch meist jünger als früher. Ein Unternehmen hatte z.B. Kochazubis im Alter von 15 und 16. Das stellt Ausbilder*innen vor spezifische Herausforderungen: Arbeitszeit und Jugendschutz müssen im Dienstplan berücksichtigt werden. Junge Menschen brauchen auch mehr Ansprache und Betreuung, für sie ist der Übergang von der Schule zum Betrieb oft schockartig. Hinzu kommt altersspezifische Instabilität: Liebeskummer oder Konflikte in der Familie können dazu führen, dass Azubis ausfallen, manchmal sogar ohne Bescheid zu sagen. Die normalen Betriebsabläufe greifen dann nicht mehr. Ein Austausch mit anderen Unternehmen war sehr erwünscht: wie gehen andere damit um? Es wurden auch Förderungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Azubis, u.a. von der Jugendberufsagentur angeboten, auf Nachhilfemöglichkeiten hingewiesen und eine Azubi-App mit praktischen Tipps entwickelt. Es gab und es gibt aktuell viel Interesse und Austausch zu diesem Thema.

Sprachkenntnisse haben Sie auch erwähnt. Betrifft der Bedarf nur Deutsch oder auch Englisch?

Beides, aber vor allem Deutsch. Bei Englisch finden die Unternehmen leicht Anbieter von Weiterbildungsformaten, es gibt Hotelenglisch, es gibt e-Learning sowie Präsenzkurse. Bei Deutsch sieht es anders aus. Es kam beim sog. ‚Personaler*innen-Stammtisch‘ die Frage, was die Unternehmen selbst machen könnten, um Deutschkenntnisse zu unterstützen oder zu festigen. Genauer gesagt: wie sie eine lernförderliche Umgebung im Betrieb schaffen. Ein Unternehmer, zu dem 15 kleine Hotels gehören, hat sich eine Session in Präsenz mit Ausbilder*innen gewünscht, um sie im Umgang mit Sprache zu sensibilisieren. Es ging darum, zu lernen, langsamer zu sprechen, immer dieselben Begriffe zu benutzen, vor allem aber darum, zu verstehen, wie schwer es ist, die Fremdsprache auch noch als Fachsprache zu erlernen.

Hat das Personal auch teilgenommen?

Ja, mehrere Unternehmen haben sich daran beteiligt. Es hat ein Treffen mit zwei Anbietern stattgefunden, insbesondere mit einer DaF-Dozentin aus Hamburg, die sich speziell mit betrieblichem Deutsch beschäftigt, insbesondere mit Fachsprache, Sprachcoaching und -Mentoring am Arbeitsplatz. Es hat sich eine ‚Weiterbildungscommunity‘ gebildet: drei Hotels haben sich mit der Fremdsprachendozentin getroffen und geklärt, welche Bedarfe es gibt, welche Mitarbeiter*innen für die Weiterbildung in Frage kämen und welche Sprachniveaus vorhanden sind. Sie haben sich ausgerechnet für das Housekeeping entschieden, eine Gruppe, die man meist nicht sofort vor Augen hat: Hauskeeping-Mitarbeiter*innen sind meistens eher zurückhaltend und brauchen niedrigschwellige Angebote. Es ging um Grundlagenkenntnisse der deutschen Sprache und darum, wie man den Unterricht alltagstauglich gestalten kann, so dass Mitarbeitende das lernen, was sie wirklich am Arbeitsplatz brauchen. Die Dozentin hat dann ein Konzept entwickelt, und das wurde in den drei Hotels individuell durchgeführt, also nicht in der Gruppe, und während der Arbeitszeit, im Haus, in kleinen Sessions von max. 45-60 Minuten. Das hat sehr gut funktioniert, so dass die anderen Personalgruppen im Hause auch danach gefragt haben. Es ist ein ‚Sog‘ entstanden, und diese drei Häuser haben sich geeinigt, dass sie als nächstes den Rezeptionsmitarbeitenden die Weiterbildung anbieten: da geht es u.a. um ein geschliffeneres Deutsch, um Redewendungen usw., dafür schreibt jetzt die Dozentin ein Konzept. Über die Ergebnisse der Housekeeping-Schulung werden wir am 31. Mai im „Talk im Forum“ berichten. Es ist ein Konzept entstanden, das es auf dem Weiterbildungsmarkt in der Form bislang nicht gegeben hat und leicht für andere Unternehmen angepasst werden kann, spezifisch für die Zielgruppe und für die Fachsprache. Das ist ein Ziel des Weiterbildungsverbundes, mit unseren Ressourcen die Entwicklung von Konzepten und die Suche von Fachleuten zu unterstützen. Das sind Prozesse, für die die Unternehmen oft keine Zeit haben. Wir bauen sozusagen die Brücke dazu.

Unterstützen Sie die Unternehmen auch bezüglich der möglichen Förderung der Weiterbildungsmaßnahmen, in Kooperation mit Bildung- und Berufsberatungsstellen? 

Die Weiterbildung selbst wird in der Regel von den Unternehmen finanziert. Es gibt Förderung für einige Weiterbildungsmaßnahmen, dafür verweisen wir die Unternehmen an die Qualifizierungsberatung für KMU in Neukölln: die Unterstützung bei der Suche nach Fördermitteln ist nicht unsere Aufgabe. Die vorhandenen Fördermittel eignen sich aber selten für Unternehmen in Hotel- und Gastronomiebereich. Die von der Arbeitsagentur z.B.  sehen mindestens 120 Stunden vor, was für den Gastrobereich zu lang ist. Wir fragen oft Unternehmen nach den Gründen, warum es mit der Weiterbildung misslingt. Als erster Grund wird nie Geld- erwähnt, sondern Zeitmangel. Die Branche neigt eher dazu, selbst pragmatische Lösungen zu finden, ohne lange zu suchen, wo man einen Antrag stellen kann. Es scheitert also nicht am Geld, es gibt andere hemmende Faktoren. Weiterbildung organisieren heißt für sie, den Dienstplan so zu strukturieren, dass beispielsweise eine Person eine Woche später für zwei Tage woanders ist. Meist scheitert es daran, dass jemand krank wird, und dann kann die eine Person nicht zur Weiterbildung, sonst ist der Turnus nicht besetzt. Das ist der Grund, warum kleinere, überschaubare Formate bevorzugt werden, weil sie einfacher zu organisieren sind. Und wenn sie nicht komplett in Präsenz ist, sondern in Mischform, sind sie dann leichter zu handhaben. Wobei die Mitarbeitende oft virtuelle Formate nicht so gerne haben, mussten wir feststellen.

Ist die Digitalisierung von Arbeitsprozessen auch ein Weiterbildungsbedarf, der von den Unternehmen gemeldet wird?

Insgesamt ist das Thema Digitalisierung in der Gastrobranche weniger relevant, als wir am Anfang gedacht hatten. Digitalisiert werden einzelne schmale Prozesse, an denen die Mitarbeitende geschult werden müssen. Das ist meist nicht so umfassend: verglichen mit anderen Branchen, die sich rasant ändern, ist Digitalisierung als Lernthema in der Gastronomie eher beschränkt. Es werden zwar alle Mitarbeitenden geschult, aber es sind nicht so komplexe Schulungen. Es geht um so etwas wie die smarte Kaffeemaschine oder um E-Concierge wie während der Pandemie, ums kontaktlose Einchecken, um die Gästemappe, die nicht mehr in Papierform, sondern als Tablet vorliegt. Es geht eher um Automatisierung, denn als Digitalisierung. Es gibt dennoch eine Weiterbildungscommunity aus vier Unternehmen, die Interesse an Digitalisierung von Prozessen und um digitale Geschäftsmodelle haben und Prozessmanagement mit digitalen Hilfsmitteln besser in den Griff bekommen wollen. Für sie haben wir in Kooperation mit dem Zukunftszentrum Berlin Weiterbildung organisiert, und die Bewertung der Unternehmen war sehr gut.

Ein sehr aktuelles Thema ist die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Das dürfte in der Gastronomie besonders akut sein…

Viele Unternehmen sind auf uns zugekommen, weil sie zum Thema keine Anbieter gefunden haben. Es war schwer dafür, Dozentinnen zu finden, weil diese seit der #MeToo-Debatte sehr stark ausgelastet sind. Viele Unternehmen insgesamt haben das Thema als wichtig befunden und schulen ihre Mitarbeitende. Insbesondere in der Gastronomie wird verstärkt Wert daraufgelegt, dass die Atmosphäre am Arbeitsplatz angenehm ist. Es werden oft seitens der Gäste Übergriffe oder Grenzübertritte gegenüber den Mitarbeiter*innen thematisiert. Wir haben eine Dozentin gefunden, und sie hat mit den drei Unternehmen, die sich zusammengetan haben in einem Vorgespräch erläutert, was man machen kann: einerseits, dass die Mitarbeiter*innen lernen, ihre Grenzen zu setzen, andererseits aber auch, dass es sehr wichtig ist, die Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren und den Mitarbeitenden den Rücken zu stärken, weil diese ja wissen müssen, wie sie agieren dürfen. Von der Unternehmenskultur her soll klar gemacht werden, wie man sich zum Thema positioniert.  Im Brauhaus ist es einfacher: wer übergriffig wird, wird herausgeworfen. Im Hotel ist es schwieriger, weil der Gast am Tage danach noch da ist. Verbale Übergriffigkeit passiert übrigens auch seitens weiblicher Gäste zu männlichen Mitarbeitern.

In welchen Formaten hat Weiterbildung in diesem Bereich stattgefunden?

Ein Unternehmen will bald eine Schulung für die Führungskräfte durchführen, die anderen zwei haben sich entschieden, direkt im Hause gemeinsam mit der kompletten Belegschaft Leitlinien zu erarbeiten, wie man mit dem Thema umgegangen werden soll. Das hat bereits stattgefunden, und eine Art Guideline wurde erarbeitet. Wir hatten eine Dozentin gefunden, die im Thema sehr fit ist, auch noch im Studium gekellnert hat und das Problem aus eigener Erfahrung kennt. Das hat sehr gut funktioniert. Wir werden anregen, dass der DEHOGA oder die NGG im regelmäßigen Turnus diese Veranstaltung anbieten.

Haben Sie insgesamt eine Strategie zum Transfer und zur Verstetigung der Ergebnisse aus der Arbeit im Weiterbildungsverbund? 

Wenn es uns gelingt, das Konzept zur Schulung über sexuelle Belästigung zu verankern, das wäre prima, so wie auch das Konzept zum Deutscherwerb. Die Gefahr ist, dass diese in der Form nicht mehr stattfinden, wenn wir als Koordinationsstelle nicht mehr da sind. Wir beschäftigen uns sehr damit, wie es erhalten bleiben könnte. Unsere Aufgabe ist, Brücken zu bauen, Kontakte herzustellen, Konzepte mitzuentwickeln: diese ‚Kleinarbeit‘, die sich aus Branchenkenntnis und Bildungskenntnis zusammensetzt, ist das, was wir mitbringen: so was zu verstetigen ist nicht leicht. Unsere Idee war, dass Weiterbildungscommunities, die sich bilden, um gemeinsam Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen, weiterhin dauerhaft und selbstständig in Kontakt und im Austausch bleiben, auch über die einzelne Maßnahmen hinaus. Das ist nicht so einfach.  Wir haben eine große Offenheit festgestellt, die nicht selbstverständlich ist, da es um Unternehmen derselben Branche geht, die auch in Konkurrenz zueinanderstehen könnten. Die Unternehmen schließen sich gerne punktuell für einzelne Maßnahmen zusammen, aber die Kontinuität erweist sich als schwierig. Es gibt keine Verbindlichkeit, sich regelmäßig zu treffen, was auch am Zeitmangel liegt. Es könnte aber in der Zukunft besser werden, da die Nachwirkungen der Pandemie auf die Branche langsam nachlassen. Der Ausbildungsrhythmus hat sich mittlerweile normalisiert. Eine Idee wäre, dass der DEHOGA nach Projektende eine feste Moderationsstelle etabliert, zumal alle Unternehmen, große und kleine, vom DEHOGA-Newsletter erreicht werden. Daher wäre der DEHOGA der geeignete Akteur, um diese Koordinierungsfunktion zu übernehmen.

Was nehmen Sie sich noch für das letzte Projektjahr vor?

Wir wollen versuchen, viel mehr kleine Unternehmen zu gewinnen, die in der Anfangsphase auch wegen der Pandemie sehr schwer anzusprechen waren, weil sie mit ganz anderen Problemen beschäftigt waren. Jetzt, wo sich die Unternehmen in einem ruhigeren Fahrwasser befinden, wollen wir versuchen, sie zu erreichen, ihre besonderen Bedarfe erheben und Communities aufbauen. Wir werden jedenfalls die erwähnten, geplanten Veranstaltungen durchführen, unsere Arbeit auch bei der Fachtagung der Weiterbildungsverbünde am 6. Juni vorstellen und weitere Folgen unseres Podcasts veröffentlichen, in denen wir Prozessbeteiligte interviewen. Und wir werden die Stammtische weiterführen, weil im Moment enorm viel passiert, worüber man sich austauschen kann.

Initiator des Projekts HOGA:Co ist der bildungsmarkt e.v., durchgeführt wird es in Kooperation mit dem DEHOGA Berlin im Rahmen der Sozialpartnervereinbarung zur Weiterbildung mit der NGG Lb. Ost sowie der IHK Berlin. Es wird im Rahmen des Bundesprogramms „Aufbau von Weiterbildungsverbünden“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

https://hogaco.berlin/

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