EU-Sozialkommissar László Andor besucht Roma-Integrationsprojekte in Neukölln

Am Freitag, den 31.1.14, machte sich Sozialkommissar Laszlo Andor ein Bild gelungener Roma-Integration in Berlin: Die Hans-Fallada-Grundschule und das Arnold-Fortuin-Haus in der Harzer Straße in Neukölln zeigen modellhaft, wie Integration gelingt und Problemen im Bezirk entgegengewirkt werden kann. Andor betonte die besondere Situation Deutschlands, das dringend Fachkräfte brauche. Von einem plötzlichen starken Anstieg der Zuwanderung rumänischer und bulgarischer Einwanderer geht er nicht aus.

Etwa 90% der Kinder, die die Hans-Fallada Grundschule besuchen, haben einen Migrationshintergrund. Die meisten sind türkisch- oder arabischstämmig, gefolgt von einer steigenden Anzahl rumänischer bzw. bulgarischer Kinder (derzeit etwa 20%). Bei der Integration der Neuankömmlinge setzt die Hans-Fallada-Grundschule auf die interkulturelle Begleitung der Kinder: Neben zwei rumänisch- bzw. bulgarisch-sprachigen Lehrerinnen werden die Kinder zusätzlich durch zwei Erzieherinnen in ihrer Muttersprache unterstützt. Die Schule hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass spezielle Sprachfördergruppen der Integration entgegenwirken. Bessere Erfolge werden mit der zeitweise durch EFRE-Gelder finanzierten Lernwerkstatt eXplorarium erzielt: Hier steht das entdeckende Lernen im Vordergrund, bei dem die Kinder gemeinsam Sprachbarrieren überwinden.

Andor lobte den Ansatz der Schule, der die langjährigen Erfahrungen mit den arabisch- und türkischstämmigen Kindern sinnvoll nutzt. Er betonte die Unterstützung der EU sowohl in den Herkunfts- als auch den Aufnahmeländern und plädierte für einen Austausch von Informationen und guter Praxis zwischen den verschiedenen Regionen über den bestmöglichen Einsatz von EU-Mitteln. Auch Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, sprach den Kommunen eine „konkrete“ und „zeitnahe“ Unterstützung zu.

Andor erklärte, dass er davon ausgehe, dass sich die Angst vor einem plötzlichen Anstieg der Zuwanderung rumänischer und bulgarischer Staatsbürger, die seit dem 1.1.2014 möglich ist, als unbegründet erweisen wird. Die Kommission hatte jedoch bereits Anfang Januar anerkannt, dass es in manchen Kommunen zu Problemen durch eine erhöhe Zuwanderung kommen kann, was durch die Nutzung von EU-Fonds, insbesondere den Europäischen Sozialfonds (ESF), ausgeglichen werden soll. Die wesentlichen Herausforderungen ergeben sich in den Bereichen Bildung, Wohnraum und Gesundheit. Viele Roma sind nicht krankenversichert bzw. wissen nicht, ob sie in ihrem Herkunftsland gesundheitsversichert sind.

Zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung bestehe in allen Ländern eine Lücke, erklärte Andor. Außerdem handele es sich um ein langfristiges Problem, so der Kommissar. Die Bekämpfung der sozialen Benachteiligung und die schulische Förderung der Roma rentiert sich allerdings nicht nur, weil soziale Konflikte verhindert werden: Andor verwies in diesem Zusammenhang auch auf die besondere Situation Deutschlands, das einen weit höheren Fachkräftebedarf als andere Länder hat. Gleichzeitig schrumpft die Bevölkerung durch den demografischen Wandel, d.h. Deutschlands Industrie kann nur durch Zuwanderung weiter wachsen.

Grundvoraussetzung dafür, dass die Kinder in der Schule ordentliche Leistungen bringen können, ist, dass sie mit ihren Familien in guten Wohnbedingungen leben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, denn, wie die Neuköllner Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport Dr. Franziska Giffey erklärte, werden Roma häufig ausgebeutet, indem man ihnen zu viel zu hohen Preisen Matratzen in „Schrottimmobilien“ vermietet.

Ein solches Matratzenlager befand sich in der Harzer Straße 65 bevor die Aachener Wohnungsbaugesellschaft mbH das heruntergekommene Gebäude aufkaufte und in das heutige Vorzeigeprojekt umwandelte. Das Haus beherbergt rund 600 Menschen, die dort nicht nur wohnen, sondern auch verschiedene Beratungs- und Freizeitangebote sowie Sprachkurse wahrnehmen können. Projektleiter Benjamin Marx verwies auf die lange Tradition der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, benachteiligten Gruppen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Von der Erfahrung, die bereits mit Wohnraumprojekten für Flüchtlinge und Spätaussiedler gemacht wurde, profitieren nun die Roma in der Harzer Straße. Er betonte, dass er das Arnold-Fortuin-Haus nicht als ein „Roma-Projekt“ sieht; vielmehr gehe es um die Schaffung von Wohnraum für Familien. Um die Integration zu fördern, werden frei werdende Wohnungen auch nicht mehr an Zuzügler vermietet. Er verwies auch auf die besonderen Vorurteile, mit denen die Deutschen den Roma begegnen: 68% wünschen sich keine Roma als Nachbarn. Vorurteile hatte beispielsweise auch die Reinigungsfirma des Hauses, die es nicht für nötig befand, ordentlich zu putzen. Die Reinigung wurde mittlerweile den Mietern übertragen, was ausgezeichnet funktioniert.

Marx stellte das Projekt im Ausstellungspavillon des Hauses vor, den eine Installation des Künstlers Gerhard Bär ziert: Ein aus Plastikabfällen bestehendes Herz, entstanden während des Kunstfestivals 48 Stunden Neukölln, das 2013 unter dem Motto „Perspektivwechsel“ stattfand.  Titel des Kunstwerks ist „Amor“, rückwärts gelesen „Roma“.  Das Herz ist Teil des partizipativen Projekts „Soziales Plastik“, in dem Bär bereits auf verschiedenen Teilen der Welt aus Plastikabfällen Gegenstände erstellt hat. Ein Perspektivwechsel wäre laut Marx auch im Umgang mit den Roma angebracht: Er verwies darauf, dass die westlichen Länder sich über rumänische oder bulgarische Fachkräfte freuen, nach dem Motto „bildet eure Leute gut aus, wir nehmen sie dann“. Hier ist ein Umdenken nötig: Wer von den dringend benötigten Fachkräften profitieren will, muss auch selbst in diese investieren.

Wie es der Zufall will, fällt der Projektbesuch genau auf den Zeugnistag. Marx holt abschließend einen Jungen zu sich und liest sein Zeugnis vor: Fast nur Einser, nur eine drei in Musik. „Soviel auch zum Vorurteil: Roma können nur Musik“, schließt Marx.

 

Text: Nina Roßmann

Fotos:

  • Joachim Simon (Besuch von Laszlo Andor in der Hans-Fallada-Schule)
  • Gerhard Bär („Amor“, siehe: http://socialplastics.com)

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